„Schwester Hedwig“ kuriert die Politiker

Kabarettist Arnulf Rating gastiert mit bitterböser Satire im „Flörsheimer Keller“

Von Andrea Remsperger


Arnulf Rating breitete „Schwester Hedwigs allerschwerste Fälle" vor dem Publikum im "Flörsheimer Keller" aus. Foto: Andrea Remsperger

FLÖRSHEIM   Mit seinem bitterbösen Programm „Schwester Hedwigs allerschwerste Fälle“ verordnete Arnulf Rating rund 70 Gästen im „Flörsheimer Keller“ am Freitagabend zweieinhalb Stunden Politkabarett vom Feinsten. Mit affenartigem Tempo verabreichte er seine messerscharfen Pointen in schonungslos hoch konzentrierten Dosen, so dass die Patienten im Saal die wohltuende Wirkung gesteigerter Hirnaktivität sofort zu spüren bekamen. Diese war auch zwingend erforderlich, um alle sarkastischen Höhepunkte des polemischen Befundes zum Zustand der Nation zu erhaschen. Nebenwirkungen in Form erschütterter Zwerchfelle traten bei allen Probanden auf, in Einzelfällen kam es sogar zu Überempfindlichkeitsreaktionen: Den Verlust des Glaubens an die Menschheit.

Arnulf Rating ist ein blitzgescheiter, wortgewandter Kabarettist alter Schule und gilt als einer der respektlosesten seiner Zunft. Als Mitbegründer der legendären Berliner Anarcho-Kabarett-Truppe „Die 3 Tornados“ lieferte er bereits 1977 bissige Diagnosen zur Lage der Nation. Seit 1993 unterwegs als Solokabarettist, sammelte er den Deutschen Kabarettpreis (1995) und den Deutschen Kleinkunstpreis (2003) ein. Nach 30 Jahren Sprechstunde in Deutschland stellt der Polit-Satiriker fest, dass einige Leiden im Land chronisch wurden und Therapiebedarf auch nach der 56. Gesundheitsreform besteht.

Vollbusig, mit langen roten Zöpfen und Häubchen auf dem Kopf verkörpert Rating als „Schwester Hedwig“ die Super-Nanny der Nation. Ihr Position zum Thema „Altwerden“: „Ich will nicht bis zum letzten Atemzug von der Pharmaindustrie bespritzt werden.“ Als langjährige Assistentin hinter den Kulissen von Sabine Christiansens Talk-Show hat sie Politiker aller Couleur beatmet. „Schwester Hedwig“ kennt die Hintergründe, wo andere nur die Symptome sehen, und gibt sich bei ihren gesellschaftspolitischen Diagnosen kein bisschen zimperlich. „Die alten Rezepte funktionieren nicht mehr“, erklärt sie, „in der CDU kann sich der Koch nicht hochschlafen, und ich kann ihm auch kein Viagra geben und er steht wieder.“

Als sonnenbebrillter BKA-Beamter beschwört Rating das Feindbild Islam herauf, als Offizier der Bundeswehr wirbt er für „Spitzenkampfsport, wo garantiert kein Türke mitmacht“, und bietet echte Alternativen zum nächtlichen Inder-Jagen an der Imbissbude: „Wenn wir Ausländer jagen, machen wir das im Ausland.“ Als Krötenschutzbeauftragter der Grünen setzt er sich für Rußfilter für Panzer ein und plädiert - inspiriert von Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen - für entsprechende Beschriftung auf Panzern und Raketen: „Schießen tötet“.

„Sie in Hessen müssen sich doch mal beschweren“, echauffiert sich Rating über unser Wahlsystem, fordert statt der Mogelpackung eine Parteien-Beurteilung durch „Stiftung Warentest“ sowie Volldeklaration der jeweiligen Inhaltsstoffe. Die aktuelle politische Standortbestimmung sei schlimmer als Hütchenspielerei, behauptet er und demonstriert die These anschaulich mit Hilfe dreier leerer Flaschen.

Nach 150 Minuten ernüchternder Bestandsaufnahme bleibt doch ein kleiner Trost: „Es geht weiter, auch im Alter.“

© Main-Rheiner, 15.09.2008