Eine Therapie für ganz Deutschland

Arnulf Ratung bittet in Unterhaus alle zur Visite

A.W.   Kinder an die Macht, forderte einst Herbert Grönemeyer. Kabarettisten an die Macht, denkt so mancher, der Ex-Tornado Arnulf Rating auf der Bühne des Unterhauses erlebt, hat er doch erkannt, woran es krankt im Lande. Da ist einer, der an die Ursachen geht und sich nicht mit Symptomatik befasst, einer, der weiß, was längst nicht alle wissen (wollen), nämlich, dass das Erkennen und die Behandlung des Symptoms die Ursache nicht zu heilen vermag. Für Deutschlands Beschwerden ist ganzheitliche Therapie indiziert und diese fordert Ratings Solo-Kabarett gnadenlos und ohne Ausnahme.

Der mit Kabarettpreisen und diversen Auftrittsverboten ausgezeichnete 56-Jährige hat sich zur Untermauerung seiner Anamnese zum 30-jährigen Bühnenjubiläum kompetente Unterstützung geholt. Schwester Hedwig heißt der Praxisdrachen, der in weißer Tracht, mit roten Zöpfen und Häubchen alle Härtefälle in die Praxis bestellt, die sich trotz jahrelanger Behandlung jeglichem Therapieerfolg entziehen.

Ihre gesellschaftspolitischen Diagnosen lassen den Politikern das Blut in den Adern gefrieren, und gäbe es den mittelalterlichen Aderlass noch, so stünden Merkel, Beck, Koch, Kohl, Stoiber und Bischöfe wohl Schlange in der Praxis zwecks Beseitigung ihrer chronischen Pathologien, die sich wie ein Virus unters Volk verbreiten. Therapie könnte man auch der Justiz anraten, die laut Rating schläft, und der sich fragt, wenn ja — mit wem? Just in diesem Moment ist dann auch Mainz aus seiner Idylle gerissen, die Rating der Landeshauptstadt zu Beginn des Abends zusprach.

Nein, nichts ist gut und nichts wird besser, glaubt man dem Kabarettisten, der wortgewandt, spritzig und komisch seinen scharfzüngigen Sarkasmus versprüht, sämtliche Politiker beschimpft und das Schulsystem als den Urgrund der unaufhaltsam sich ausbreitenden deutschen Misere diagnostiziert. Wen wundert’s, wenn Lehrer von gestern Menschen von heute für morgen fit machen sollen. Angesichts der Rating’schen Gnadenlosigkeit bleibt dem Publikum so mancher Lacher im Halse stecken.

© Rhein-Main Zeitung, 03.04.2008