Arnulf Rating und Schwester Hedwig

Arnulf Rating und Schwester Hedwig beim Seesener Kulturforum! Das Seesener Kulturforum hatte in die „Praxis Spreebogen“ eingeladen und das große Wartezimmer der Aula war einigermaßen besetzt. Der Kabarettist Arnulf Rating präsentierte sein frisches Programm „Schwester Hedwigs allerschwerste Fälle“.

Arnulf Rating spricht sehr schnell, denn er hat viel zu sagen. Natürlich greift er sofort die aktuelle hohe Politik, sprich: Politikerin an, Angela Merkel, die als „ehemalige FDJ-Propagandasekretärin“ schließlich „die Heilige vom Damm“ geworden sei. Überhaupt werde die Politik zur Zeit von den Frauen bestimmt. Da sind noch von der Leyen, Ulla Schmidt und Eva Hermann. Die Manns-Politiker stehen in der zweiten Reihe. Da sind Stoibers übersehenes Haltbarkeitsdatum, das bayrische „Gammelfleisch im Trachtenanzug“ und die Pauli, nach der man in Hamburg einen Stadtteil benennt, Amoklauf als Schulsport …

Trotz aller Kritik und Polemik: „In Seesen ist doch alles in Ordnung“, so behauptet der Kabarettist. Die Figuren, deren Rollen er dann spielt, sehen es aber anders. Das sind alles chronisch kranke Patienten der „Praxis Spreebogen“ des Dr. Mabuse, in der Schwester Hedwig das Dragoner-Regiment führt. Hedwig mit den Pippi-Langstrumpf-Zöpfen und der Rotkreuz-Haube erinnert an Comedy, bleibt aber auf der „argumentierenden“ Kabarett-Schiene.

Der erste Patient mit der Sonnenbrille ist notorischer Nörgler mit Durchblick. Zum Schluss des Abends entpuppt er sich als der Stasi-Führungsoffizier der Bundeskanzlerin. - Ein Bundeswehr-Offizier mit rotem Barett und in Tarnjacke gibt sich nicht als Patient, sondern bietet rechtslastige Lösungen zur „Ausländerproblematik“ an: „Wenn wir Ausländer jagen, machen wir das im Ausland!“ Statt der Baseball-Keule stellt er Hightec-Lösungs-Möglichkeiten in Aussicht. - Auch der Grünen-Politiker Reiner Hohn (!) ist erschreckend angepasst: „Die Bundeswehr schießt seit Jahren bleifrei!“ Er predigt „gesunde Kompromisse“: „Das Schwein, das Angst vor dem Metzger hat, wird nie ein Schnitzel!“. - Der Sportler-Patient mit den Boxhandschuhen hat schlagende Argumente: „Wir sauberen Sportkameraden wollen auch mal gewinnen!“ und plädiert für „saubere Sieger aus artgerechter Sporthaltung“.

Der momentanen Bangemacherei des Innenministers entgegenargumentierend dreht Rating den Spieß um. Seine Sprache entlarvt. Es sind nicht nur die Kalauer, die hinter den Begriffen einen neuen Inhalt andeuten, es sind entlarvende Mehrdeutigkeiten. Politik und Rechts-Links-Etikettierungen werden als hohles Hütchenspiel verdeutlicht.

Wer war stärker? Rating oder Schwester Hedwig? Die Krankenschwester fühlt sich nicht an ihre Schweigepflicht gebunden, der Kabarettist hat gar keine! Er hat ein Redegebot. Dem kommt Rating unbedingt nach. Er spricht allerdings so schnell, dass die Leitungen im Patienten-Wartezimmer nicht immer kurzschlüssige Folgerungen zulassen. Das Dämmern kommt etwas später und wird dann auf eine weitere bedrückende Realität aufmerksam. Schwester Hedwig als Wahr-Sagerin in einem Irrenhaus.

Die Zugaben aus einem möglichen „Best of-Programm“ waren dann noch einmal echte Highlights beim „Seesener Kulturforum“, etwas älter schon und doch erschreckend aktuell: Strichcodes, den Bürgern auf die Stirn geschrieben als unverwechselbare und auskunftsfreudige Info-Box.

Joachim Frassl

© Seesender-Kurier.de, 12.11.2007
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