Mit Arnulf Rating bekommt Vlotho ein neues Gesicht

Künstler richtet die Schlaglichter pausenlos auf eigentlich Vertrautes: Soll im Bahnhof ein Rudi-Dutschke-Heim entstehen?

Vlotho (ah). Wenn so ein scharfsichtiger Mensch wie Arnulf Rating nach Vlotho kommt, wie am Freitag geschehen, dann bekommt unsere kleine Stadt ein neues Gesicht.

Von Agnes Hart

Insbesondere der Bahnhof, gegen welchen unsere Blicke schon völlig abgestumpft sind, gerät erneut ins Zentrum des Interesses. Es muss doch etwas zu bedeuten haben, dass er so unbetretbar da steht. Ob man nicht Vlotho besser fluten sollte? Aber nein, hier soll ja das Rudi-Dutschke-Heim entstehen, vielleicht sogar im Bahnhof?

"Reich ins Heim" heißt das Programm, das Arnulf Rating über zwei volle Stunden in rasantem Tempo und vielen Rollenwechseln vor dem zahlreichen Publikum artistisch witzig ausbreitete. Es gelang ihm, pausenlos Schlaglichter auf eigentlich Vertrautes so zu richten, dass Staunen und Lachen unausweichlich waren. Und immer war die Sprache mit ihm im Bunde, gab sie Witz und Bedeutung mühelos neu her. Da läuft die Wirtschaft wie geschmiert, im doppelten Sinn: Hat man nicht bereits nach Frau Pauli ein Viertel in Hamburg benannt? Oder: Obwohl der Gammelfleisch-Skandal eine Zeit lang groß herauskam, wurden doch die Döner-Spießgesellen Seehofer und Jung nicht am Aufstieg gehindert? Und "die Parteien SIND das Problem, das zu lösen sie vorgeben."

Mit wenigen Requisiten verwandelt sich Rating in die drei Experten, die sich der Frage stellen, ob Vlotho eine Zukunft hat. Eine Brille, ein anderer Habitus, vielleicht noch ein Dialekt oder krasses "Neudeutsch", und schon sitzt da eine neue Person. Wenn auch bei dieser Expertenrunde kein Kompromiss, sondern eher eine Verschärfung der Standpunkte herauskam, so war sie doch eben deshalb recht "naturgetreu" und durch die Tempobeschleunigung eine artistische Hochleistung. Aber es gab noch eine Steigerung: Schwester Hedwig. Mit Kittel und Zopfperücke war sie einfach umwerfend und was sie zu berichten hatte auch. Da dopen und schnupfen die Abgeordneten wie verrückt und keiner außer ihr befasst sich damit. Die nötigste Gesundheitsreform hätte erst einmal im Parlament stattzufinden. Wenn Deutschland saniert werden soll, wäre zunächst ein "Begrüßungsgeld rückwärts" angebracht, schließlich gehören wir zu den "Geiselgeberländern." Zum Glück gibt es den Aufschwung alt. Alte Menschen arbeiten nicht, aber sie verbrauchen. Das muss man doch mal positiv sehen. In diesem Sinne war auch die Zugabe gehalten, die durch frenetischen Beifall eingefordert wurde. Rating, da muss man hin!

© Vlothoer Anzeiger, 30.04.2007