Es geht „Aufwärts!“

Rating rast

Würgendorf. Bestes politisches Kabarett servierte am Samstag Arnulf Rating im Heimhof-Theater. Rasant ging es durch die deutsche Gesellschaft — virtuos, spannend und amüsant.


Solange es Hochkaräter wie ihn gibt, wird es zumindest im Kabarett nicht abwärts gehen: Arnulf Rating gab sein Programm „Aufwärts!“ im Heimhof-Theater. Foto: aww

aww — Huch, was war das? Ein Wirbelwind ist durchs Heimhof-Theater gefegt. Und hat uns, die wir drin saßen, auch noch die letzte Hirnwindung ordentlich durchgepustet. Einen Namen hat er auch: Arnulf Rating heißt er, und er hat uns wortgewaltig und in Sturmgeschwindigkeit gezeigt, wie es geht: „Aufwärts!“. So heißt sein aktuelles Soloprogramm, und die Besucher des Würgendorfer Theaterkleinods auf der Wasserscheide konnten sich am Samstagabend gegen halb elf nach dem Genuss der furiosen Darbietung in einem sicher sein: Zumindest mit dem Kabarett geht es nicht abwärts, solange es Genrevertreter von der Güteklasse eines Arnulf Rating gibt.

Pointen zünden auf der Stelle

Eines der ganz großen Talente Ratings ist es, Politkabarett zu machen, das verständlich ist, aber nicht platt, intelligent und sprachlich kreativ, aber nicht intellektuell verquast. Der Zuhörer kann ihm trotz des außerordentlich hohen Tempos und des pausenlosen Silbenausstoßes stets folgen, Ratings Pointen sind knackig und zünden auf der Stelle. Auf nebensächliches Beiwerk ist der Mann nicht angewiesen, sieht man mal von den zuweilen à la Schmidtchen Schleicher vor sich hin „elastizierenden“ Beinen, dem etwas extravaganten Nadelstreifenanzug und der wirren Frisur mit dem breiten Scheitel ab. Letzteren verdankt er übrigens einem Mittel gegen Haarausfall. Dr. Mabuse hatte ihn gewarnt!

Lieber keine Lungenentzündung am Ende des Quartals

Und was sind 2011 Ratings Themen? Na die, die uns alle in der jüngeren Vergangenheit immer wieder beschäftigt haben, weil wir alltäglich damit konfrontiert wurden und werden — in der Zeitung, in den Nachrichten, mitunter auch ganz persönlich. Da nimmt Rating das Gesundheitswesen nach allen Regeln der Kunst auseinander und gibt nebenbei noch Tipps zum „Krankfeiern“. Eierstockentzündung macht sich zum Beispiel immer gut, nur nicht bei den Kerlen natürlich. Von einer Lungenentzündung am Ende des Quartals ist dagegen abzuraten, da kann Schwester Hedwig nichts mehr machen — Budget ausgeschöpft. Tja, leider zum falschen Zeitpunkt infiziert!

Rückrufaktion für Westerwelle

Und dann ist da ja noch die Wirtschafts- und Finanzkrise nebst Wachstumsbeschleunigungsgesetz, da ist der Beamte an sich, der abgeschafft werden muss, damit der Staat schlanker wird (herrlich die gespielte Szene über den Arbeitstag eines Staatsdieners), da ist die Bertelsmann-Stiftung, die irgendwie für alles verantwortlich ist, sogar für die europäische Verfassung. Und da sind — klar, wir sind im politischen Kabarett — all die Merkels, Steinmeiers und Pofallas dieser Welt. Und ganz vorneweg ist da unser aller Außenminister, der immer einfach weitermacht, nicht runterkommt vom Gas und damit verdächtig an Toyota erinnert. Rating: „Wir bräuchten eine Rückrufaktion für Guido Westerwelle.“

Ein Mann spielt zwei Figuren

Apropos: Die großen Rücktritte — Käßmann, Köhler, Kachelmann — sind auch sein Thema; ebenso die Fehltritte in der katholischen Kirche, die phlegmatisch-desinteressierte Haltung der Deutschen angesichts zigmilliardenschwerer Bankenhilfen („Was ist mit uns los?“), die nebulöse deutsche Geschichte („Wir wissen's nicht!“) oder die immer gleichen Visagen auf Vernissagen samt guckenden Damen mit Gucci-Täschchen. Bei alledem schlüpft Arnulf Rating immer mal wieder in zwei Figuren, die Rede und Gegenrede führen. Und lässt sich gerne auch mal selbst verblüffen, als er versehentlich Wasser auf zwei Glühbirnen am Bühnenrand spuckt, die sich alsdann mit einem dumpfen Schlag verabschieden. Ganz stark: Aus zahlreichen Titelzeilen einer auflagenstarken deutschen Boulevardzeitung macht der Kabarettist einen brillanten, rasanten Rundumschlag — Rating rast sozusagen durch die deutsche Gesellschaft. Virtuos, spannend, hochamüsant. Zugabe!

© Siegener Zeitung, 13.02.2011