"Ich will keine Riester-Rente, ich will Riesters Rente!" – Arnulf Rating in Hockenheim

Wir leben in einem Land, das längst "Pflegestufe 3" verdient hätte: "Wir sind alt, krank und wissen nicht, was wir machen sollen". In bewährter Tradition des temporeichen Schnellsprechkabaretts hat der Meinungsakrobat Arnulf Rating Ende März im voll besetzten Hockenheimer Kulturzentrum "Pumpwerk" den hohen Herren die Leviten gelesen: Der Kanzler, diese "Currywurst im Brionianzug", sei tief beeindruckt vom neuen Luther-Film und wolle nun selbst Reformator werden; dafür habe er die "Spezialdemokratie" "inhaltlich und personell auf Sozialhilfeniveau runtermodernisiert". Stolpe bekomme die Maut mit "Toll Collect" nicht hin, obwohl er sich – als "alter DDR-Kirchenmann" - doch mit Kollekten auskennen müsste. Was im "Finanzmysterium" (besser bekannt als "Reichsluftbuchungsministerium") passiere, lasse tief blicken: Eichel "springt in einen Geldspeicher, der leer ist – der muss einen an der Kachel haben!"

"Hochgeschwindigkeitskabarett von heute, aber im Ton wie auf dem Rummelplatz der Sponti-Clowns von damals", so hatte die Jury 2003 die Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises an Rating begründet. Angeknüpft wird damit an die bewegte Vergangenheit des Ausnahme-Kabarettisten, der 1977 seine Karriere als Mitbegründer der legendären Anarcho-Truppe "Die drei Tornados" startete. Viel vom vor allem von den Gerichten gescholtenen Quatsch hat er sich auch in seine Soloprogramme herübergerettet. Auch wenn alles ein wenig abgeklärter geworden ist, haben auch die neuesten Innenansichten auf eine Republik im Abendfüller "alles prima" nichts vom beißenden Spott verloren. So taucht der wirbelwindartige Bühnenwischmopp erneut ein in einen Kosmos der Meinungsvielfalten, von denen sich das Publikum – so viel Selbstverantwortung muss sein – aussuchen kann, was es nun glauben mag.

"Wo geht's zum Aufschwung Ost? – Da lang, immer den Bach runter!" So nimmt der ehemalige Ruhrpottler und heutige Berliner die teure Wiedervereinigung aufs Korn, bei der man nur "blühende Landschaften gesehen" habe, aber nicht, "was uns da blüht". Dafür habe man ja aber das "Begrüßungsgeld" beim Arzt eingeführt, das vor allem die Diagnosen verbessern werde: Auf die Frage "Was fehlt uns denn?" könne man heute sofort antworten "zehn Euro".

Fast abendfüllend beschäftigt er sich aber mit der Ich-AG und führt deren persönlichkeitsspaltendes Potential vor Augen, wenn er die Ämterunion als Chef, Betriebsrat und Malocher pointiert: "Ein Chef wie ich würde einen Angestellten wie mich sofort entlassen – ich weiß doch, wie ich arbeite!"

Arnulf Rating ist ein Garant für rasantes Polit-Kabarett, das nur ausnahmsweise und zur Unterstreichung der politischen Komponente auch auf anderen gesellschaftlichen Weiden grast: Da wird dann schon mal ein Seitenhieb auf Dieter Bohlen losgelassen, der "das Brett vor dem Kopf schon im Namen trägt", oder auf Uschi Glas als "fleischgewordenem Beispiel für die deutsche Alterspyramide", deren Bikini-Bilder auch als "Bewerbungsfotos für die 'Körperwelten'" durchgehen würden.

Ansonsten schlägt er auf alles ein, was sich in der Politik regt: Da bekommt es die Regierung genau so ab, wie die Opposition mit ihrer "Merkelwürdigkeit". Genial und ein absolutes Highlight: Die "Bild"-Presseschau der vergangenen Jahre. Aus jeder Schlagzeilen des größten Verdummungsorgans der Republik kann Rating dabei einen Kracher schlagen: Ob Bundestrainer Rudi Völler mit Worten um sich wirft, "die wir sonst nur für Politiker verwenden", Kanzler Schröder auf den Italien-Urlaub verzichtet und in Hannover Urlaub macht ("Wer Hannover kennt, dem gefällt es überall – das ist quasi das Hockenheim Niedersachsens") oder Küblböck zum Bund muss ("Dieter Bohlen und seine Castingshows sind ja quasi Kreischwehrersatzämter") – bei Rating bekommen alle ihr Fett weg. Das gilt sogar für die Lokalmatadore: "Die Vaseline der Einigung" seien die Schmiergelder der Kohl-Ära gewesen, gibt er augenzwinkernd zu den derzeitigen Vorwürfen über Unregelmäßigkeiten beim Umbau des Rings zu bedenken – "In Hockenheim ist ja noch kein Name raus".

Mit seinem neuesten Programm hat sich der Mann, der schon frisurmäßig als Mischung von blankpolierter Kugel und Flokati aufkreuzt, einmal mehr als ein Fels im tosenden Kulturozean bewiesen: Was er serviert, ist zeitgemäßes Kabarett mit einem Hauch Komik (wenn er den didiartigen Beamten Majowski gibt), das auf die niederen Stilmittel der Comedy verzichten kann. Statt dessen killt er mit Witz, dem das Genius des Intellektuellen nicht abzusprechen ist.

So auch bei einem seiner Lieblingsthemen seit vielen Jahren: Auf "Die Renten sind sicher, haben uns die Politiker immer gesagt – stimmt ja auch für sie" kontert Rating völlig schlüssig mit "Ich will keine Riester-Rente, ich will Riesters Rente!"

Als er am Ende von "alles prima" seine Tante Hedwig von einer deutschen Zukunft träumen lässt, in der mit der "Langen Nacht der Akkupunktur", "7 Tage 7 Tröpfe" und "Los Wochos bei McPampers" endlich der Weg von der Demokratie in die Geriatrie abgeschlossen ist, dann wird auch dem Letzten im frenetisch nach Zugaben brüllenden Publikum klar: "Das wird wunderschön, in diesem Land alt zu werden!"

© Parnass – Die Kulturzeitschrift im InterNet, März 2004