Wer ständig auf der Stelle tritt, produziert höchstens Sauerkraut

Ein Berliner Kabarettist als Ich-AG: Bei Arnulf Rating läuft "Alles prima"

"Vor Ihnen steht die Zukunft Deutschlands." Der das verkündet, ist nicht etwa größenwahnsinnig. Er vertritt bloß jenen Firmentypus, von dem sich die Spezialdemokraten Erlösung auf dem Arbeitsmarkt versprechen: die Ich-AG. Als Kabarettist muss sich Arnulf Rating seit fast 30 Jahren auf sich selbst verlassen, er ist also Aufsichtsrat, Betriebsrat und Arbeitnehmer in einer Person. Dass so etwas mitunter zu Schizophrenie führt, demonstriert der Berliner aus Wuppertal-Barmen in seinem neuen Programm "Alles prima" aufs Eindrucksvollste.

So manchem Premierengast im proppevollen Saal der Wühlmäuse dürfte zumindest partiell die Weihnachtsgans wieder hochgekommen sein angesichts der Brutalität, mit der das Schandmaul verbale Breitseiten in alle politischen Richtungen abfeuert. Der Mitbegründer des Sponti-Trios Die Drei Tornados, der als Spottmanager für Januar wieder das internationale "Maulhelden"-Festival in Berlin organisiert, tritt heute bevorzugt in Nadelstreifen an die Öffentlichkeit. Doch der Anarchogeist der von Prozessen und Sendeverboten geprägten späten siebziger und frühen achtziger Jahre ist noch lange nicht flöten gegangen. Man regt sich höchstens weniger darüber auf. Mehr Grund zur Wut geben andere, die Regierung zum Beispiel.

Alles, was Schröder und Co. heute machen, sei Marketing, meint Rating, der statt der Riester-Rente lieber Riesters Rente hätte. Harz, Agenda 2010, Rürup würden angepriesen wie Automarken. Und eben auch die Ich-AG, die ihn persönlich, zumindest was Personalanpassungen betrifft, ziemlich in die Bredouille bringe: Außer von seinem Blindarm und seinen Haaren habe er sich bislang von niemandem trennen können. Mit anderen selbstbewussten Ich-AGs geht der Alleinunterhalter Joint-Ventures ein, mit seiner Frau zum Beispiel. Dagegen begegnet ihm seine ehemalige Tanzstunden-Partnerin als Unternehmensberaterin. Bei ihr fällt die Analyse der Rating-AG vernichtend aus, im Gegensatz zu der des Zuschauers.

Dass die drei Seelen, die in seiner Kabarettistenbrust schlagen, sich im Tonfall sehr ähneln, ist bei einem Einmann-Unternehmen nachvollziehbar, macht aber das Verständnis manchmal kompliziert. Was Rating als Schauspieler abgeht, holt er mit Wortwitz wieder ein. Wenn er Unvermögenssteuer, Schwafelsteuer und Kalauerpauschale zur Rettung des Bundeshaushalts fordert, braucht er nicht zu fürchten, dass solche Vorschläge auf ihn selbst zurückfallen. Ginge es nach ihm, sollten Casting-Shows zu "Kreischwehr-Ersatzämtern" umfunktioniert werden: "Vor Soldaten wie Küblböck oder Bohlen ergreift jeder Feind die Flucht." Richtig so. Ein Ruck muss endlich durch unser Land gehen. Denn wer ständig auf der Stelle tritt, produziert höchstens Sauerkraut.

Uwe Sauerwein

© Berliner Morgenpost, 28.12.2003