„Wir hängen da alle mit drin“

Arnulf Rating zeigt „Ganz im Glück“ als Vorpremiere

Er steht für ein Politkabarett, das Hirn und Lachmuskeln gleichermaßen strapaziert: Arnulf Rating, einst Mitbegründer des Anarcho-Theaters „Die 3 Tornados“, kommt mit neuem Kabarett-Solo „Ganz im Glück“ (Regie: Ulrich Waller) zur Vorpremiere ins Lutterbeker. Vorher sprach er mit unserer Mitarbeiterin Beate Jänicke.

„Ganz im Glück“ heißt Ihr neues Programm. Klingt nach dem Märchen, bei dem einer für das, was er eintauscht, jedes Mal etwas weniger bekommt…
Arnulf Rating: Ja, das Märchen hat schon ein bisschen Pate gestanden. Hans im Glück tauscht ja so lange, bis er mit nichts nach Hause geht, aber er ist immer glücklich dabei! Laut einer Umfrage sind auch die Deutschen zu 76 Prozent mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden. Ich weiß jetzt gar nicht, welche 76 Prozent da gefragt wurden. Auch wir geben jedenfalls immer mehr Besitz weg: Wir haben nur noch Zeitjobs, geleaste Autos, und die Welt, in der wir leben, ist virtuell, so wie unsere Grundrechte: die liegen irgendwo auf einem Server in den USA.

Sonntag ist Bundestags-Wahl, ist schon alles entschieden, oder geht noch was?
Es gibt immer mehr Leute, die nicht mitmachen oder die sich erst spät entscheiden. Es fällt ihnen zunehmend schwer, für vier Jahre ihre Botschaft in ein einziges Kreuz zu packen. Da nutzt es auch nichts, Wahlprogramme zu lesen. Wenn eine Krise, wie die Bankenkrise, kommt, und wir Milliarden ausgeben, stand das vorher in keinem Wahlprogramm. Es zeichnet sich zunehmend ab, dass wir uns politisch anders äußern müssen und möchten.

Wie denn?
In dem man zum Beispiel Elemente der direkten Demokratie nutzt. In Hamburg entscheiden sie am Tag der Wahl auch über den Rückkauf des Stromnetzes.

Wissen wir überhaupt genug, über das, was hinter den Kulissen abläuft, um wählen zu können?
Das ist die große Frage! Wir haben ja gerade die NSA-Affäre, von der unsere Kanzlerin komischerweise erst aus der Zeitung erfahren hat. Da sehen wir, dass sich im Hintergrund vieles abspielt, was gar nicht in unseren Gesetzen vorgesehen ist.

Warum scheint das hierzulande keinen wirklich aufzuregen?
Weil wir da alle drin hängen. Früher haben wir einen Riesenaufstand gemacht wegen Volkszählung und Aushorchen und heute stecken wir uns alle mit unserem Handy unsere Wanze in die Tasche. Und wir machen das gerne, weil wir damit mit Freunden in Kontakt bleiben oder gucken können, wann der Bus fährt. Wir nutzen das Internet kostenlos, wissen aber eigentlich ganz genau: Irgendwas kostet es uns doch.

Ist ein Wahljahr eine gute Zeit für Kabarettprogramme, oder sind die Unwägbarkeiten zu groß?
Nein, man muss eben auch wissen, dass bei Wahlen nicht alles entschieden wird. Insofern ist eigentlich ständig Wahljahr. Man muss sich jeden Tag neu überlegen, akzeptiert man das. Das sind wir ja als User gewohnt, wir machen unseren Computer an, und es kommt eine neue Software hoch, und da steht dann: Akzeptiert. Wir machen uns aber nicht die Mühe, die ganzen Nutzungsbedingungen auszudrucken.

Gehen Sie zur Wahl?
Ich muss mir noch überlegen, wen ich mit meinem Kreuz am meisten ärgern kann.

© Kieler Nachrichten, 19.09.2013