„Kompromisslos die Wahrheit sagen“

Am 27. Mai verrät der Kabarettist im Haus der Magdeburger „Zwickmühle“, warum es auch in der aktuellen Wirtschaftskrise immer aufwärts geht

Arnulf Rating gehört zu den wichtigsten und schärfsten Politkabarettisten Deutschlands. Fernsehzuschauer kennen den großen Blonden mit dem breiten Scheitel von Gastauftritten bei „Ottis Schlachthof“, den „Mitternachtsspitzen“ und in „Neues aus der Anstalt“. Er gastiert am 29. Mai in der „Magdeburger Zwickmühle“, diesmal mit seinem neuen Programm „Aufwärts“…

Biber: „Aufwärts“ heißt ihr neues Programm, inspiriert von der derzeitigen Wirtschaftskrise und dem Klimawandel. Wo, wie und wann bitteschön geht es Ihrer Meinung nach „aufwärts“?
Rating: Das ist ja die Stimmung, mit der wir durch alle Krisen gezogen werden : Es geht aufwärts mit der Wirtschaft. Leider trifft das für viele einzelne Menschen aber nicht zu. In der DDR ging es auch immer aufwärts. Das war nur sehr mühsam für jene, die den Karren ziehen mussten. Und das ist heute genau so.

Biber: Ist das Ihre Antwort auf Panikmache und schlechte Stimmung?
Rating: Wir im Kabarett sind ja für die Stimmung verantwortlich. Zumindest abends. Und die ist gut, wenn wir das Maul aufmachen.

Biber: Sie haben kürzlich mal gesagt : „Ich möchte, dass die Leute mit erweitertem Bewusstsein und nasser Hose aus meinem Programm kommen. „Das sind hohe Erwartungen an das Publikum.
Rating: Ich bin sicher, dass das Magdeburger Publikum diese Erwartungen erfüllt. Die letzten beiden Male, als ich hier war, hat es vor ausverkauften Häusern sehr gut funktioniert. Was da passieren kann, hat Wiglaf Droste einmal in einer Kritik „Bewusstseinserheiterung“ genannt.

Biber: Sie analysieren oder gar sezieren Deutschland scharf und böse bis ins Detail. Wären Sie ein besserer Politiker?
Rating: Nein. Was machen Politiker? Sie machen Kompromisse und lügen. Beides kann ich nicht so gut. Der Job beim Kabarett ist es, genau das Gegenteil zu tun : Kompromisslos die Wahrheit sagen. Das macht mir Spaß. Und ich kann leider nur das, was mir selber Spaß macht.

Biber: Ihre Wutausbrüche und Provokationen der Siebziger, funktionieren die heute genauso noch?
Rating: Nicht immer. Die Gesellschaft, die Politik, ist abgebrühter und gerissener. In gewisser Weise auch gleichgültiger. Ein paar Tote bei inneren Unruhen in Thailand schaffen es ja nicht mal auf die Titelseiten unserer Zeitungen, wenn sich ein Fußballer den Fuß verknackst hat. Provokation steckt heute mehr im Detail und wirkt subtiler.

Biber: Was treibt Sie an, Kabarett zu machen?
Rating: Mein Arzt hat mir das verordnet. Ich soll den Ärger rauslassen, sonst geht er aufs Herz. Meine Familie hört mir schon nicht mehr zu. Aber beim Kabarett zahlen die Leute sogar dafür. Ich nehme diesen Auftrag ernst und gebe wertvolle Anlagetipps : Investieren Sie in Humor. Das lohnt sich. Das sage ich als eine der ältesten Rating-Agenturen in Deutschland.

Biber: Wollen Sie ein wenig die Welt verbessern?
Rating: Das wollen ja immer die Politiker. Zum Beispiel Westerwelle. Der wollte immer Steuersenkungen. Dabei hat er das Steuer gar nicht in der Hand, und jetzt sinkt er selber. Das Scheitern solcher Politclowns erheitert. Und das macht die Welt etwas fröhlicher. Im Sinne solcher Freuden will ich die Welt gerne verbessern.

Biber: Sie sind zwei Stunden allein auf der Bühne. Haben Sie nach über dreißig Jahren Bühnenauftritten noch Lampenfieber?
Rating: Der K ick besteht darin, jeden Tag in einer sich wandelnden Welt vor immer anderen Menschen voll da zu sein. Wenn ich die Herausforderung nicht mehr spüre, habe ich wahrscheinlich kein Lampenfieber mehr. Dann höre ich auf.

VITA
Arnulf Rating, 1951 in Mülheim an der Ruhr geboren, ist Kabarettist. Seit 1993 tritt er mit Soloprogrammen auf. Anhand von besonders markanten Zeitungs-Schlagzeilen kommentiert er meist das aktuelle Zeitgeschehen.

© Volksstimme, 27.05.2010