Reich ins Heim

Stuttgart, sagt mir Arnulf Rating, sei der ideale Platz, um in Ruhe alt zu werden, eine Stadt mit "genügend Fluchtwegen", um im Notfall auch dem Tod zu entkommen. Der Berliner Kabarettist Arnulf Rating, 55, ist bekennender Altersphilosoph. Alter, sagt er, mache locker und fröhlich: "Schau dir den Papst an, der schreibt mit achtzig ein Buch und läuft in Frauenkleidern rum." Aus Liebe zur allgemeinen Betagtheit hat der Künstler seine jüngste Bühnenshow "Reich ins Heim" genannt. Am kommenden Sonntag (20 Uhr) gastiert er im Merlin, Augustenstraße.

Kennen gelernt habe ich ihn im Sommer 1979 in Berlin. Ich leistete mir zwei Wochen Urlaub, nach der damaligen Sprachregelung zur außerbetrieblichen Fortbildung auf dem Sektor kultureller Umtriebe, und wohnte bei einem Freund am Chamissoplatz, Kreuzberg.

Viel Zeit des Anschauungsunterrichts verbrachten wir in der Kneipe Schlehmil, benannt nach einer Figur des Dichters Adalbert von Chamisso, die ihren Schatten an den Teufel verkauft. Eines Abends gaben in der Spelunke drei Männer eine Benefizvorstellung für Strafgefangene. Sie hießen Die 3 Tornados, spielten mit Schwindel erregender Gestik auf der Theke und brachen dabei alle Gesetze des Kabaretts, das man damals zur besseren Unterscheidung vom Cabaret des Rotlichtmilieus "politisch-literarisch" nannte.

Bei den Tornados krachte und zischte es unentwegt, sie sangen zur Titelmelodie der Fernsehserie "Flipper" Verse über den "Kontaktbereichsbullen", spotteten - reichlich Bierschaum ins Publikum spritzend - über die Sponti- und Ökoszene und glänzten mit verblüffender Selbstachtung: "Wir sind süß, aber doof." Den Kreuzberger Sommer 1979 habe ich nie vergessen, die Tornados, von Schubladendenkern bald "Brachial-Kabarettisten" genannt, waren im Grunde die Wegbereiter des Comedy-Booms. Sie wurden schnell bundesweit berühmt, bespielten in den Anfangsjahren des Theaterhauses Wangen tagelang den großen Saal - und zum Abschluss solidarisch das kleine Laboratorium. Zur Popularität verhalfen ihnen neben begeisterten Besuchern empörte Medien und Juristen: Mal blendete sich die ARD von einer Live-Show der Tornados von der Berliner Funkausstellung aus, mal standen sie nach einer Maria- und Josef-Nummer wegen Blasphemie vor Gericht. Ende der Achtziger, da war der charismatische Tornados-Kopf Günther Thews schon an Aids erkrankt, lösten sie sich auf. Thews starb 1993 mit 47 Jahren.

Arnulf Rating ist heute Solokünstler, tritt oft im Fernsehen auf, inszeniert Shows für Kollegen und erfand das Berliner "Maulhelden"-Festival. Wie viel Tornado noch in ihm stecke, frage ich. "Aufklärung hat in Deutschland Tradition. Dafür hatten wir mal den Philosophen Kant. Heute schicken wir zur Aufklärung Tornados nach Afghanistan. Eigentlich müssten wir sie nach Amerika schicken."

Wer ist heute, frage ich, noch politischer Kabarettist? "Herr Oettinger", sagt er, "der wird allerdings vom Staat bezahlt. Ich bin außerparlamentarischer Kabarettist und muss Eintritt verlangen. Ich betreibe politische Willensbildung, Herr Oettinger politische Unwillensbildung. Von Rechts wegen müsste also ich vom Staat bezahlt werden."

Was ist der Unterschied zwischen einem Comedian und einem Kabarettisten?

Rating zitiert einen Kollegen: "Der Comedian spielt wegen dem Geld, der Kabarettist wegen des Geldes."

Der Dativ ist dem Kabarett sein Tod – womit wir wieder bei Ratings fröhlicher Sterbehilfe sind: Reich ins Heim.

© Stuttgarter Nachrichten, 26.04.2007